„Einige meiner Kompositionen werden Frenzel zugeschrieben, hingegen stammen jedoch alle Frenzel-Kompositionen von mir“. 1994 lüftete Friedemann Katt mit diesem Offenbarungseid endgültig das Geheimnis um Franz Xaver Frenzel, dessen Werke in den 1970er-Jahren im Stift Heiligenkreuz in Niederösterreich aufgetaucht waren und seither Musiker wie Publikum begeistern. Mit der Erfindung dieses fiktiven „Barockkomponisten“ gelang es Friedemann Katt, Jahrgang 1945, sich dem Zwang der Avantgarde zu entziehen, einzig und allein nach ihren Dogmen zu komponieren. Frenzels Werke stehen demgegenüber für lustvolles Musizieren, für souveränes Handwerk und einen spielerischen Umgang mit der Tradition. Aus ihr schlägt Friedemann Katt immer wieder neue Funken, außerdem versteht er es meisterhaft, heterogenes Material aus verschiedenen Epochen und Stilen bis hin zu Swing und Jazz zu einer unverwechselbaren musikalischen Sprache zu vereinen. Dabei hat Friedemann Katt nie aufgehört, auch selbst aktiv zu muszieren, als Organist etwa im Stift Heiligenkreuz, sowie als Pianist oder Cembalist. Jahrelang war er darüber hinaus als Musikerzieher im Bundesinstitut für Heimerziehung in Baden bei Wien tätig, seit 1989 ist er freischaffender Komponist. Mit Friedemann Katt sprach Peter Blaha.
Beim Swiss Alps Andermatt Festival stehen heuer Komponisten im Zentrum, die selbst auch aktiv musizieren. In der Vergangenheit eine Selbstverständlichkeit ist dies heute eher die Ausnahme. Mit welchen Folgen?
Die Entwicklung setzte in der Romantik ein. Damals begannen Komponisten damit, die Ausführung ihrer Werke anderen zu überlassen. Das hatte natürlich mit der aufkommenden Spezialisierung zu tun. Aber es hat auch dazu geführt, dass der Praxisbezug dieser Werke verloren ging. Es führte zu einem l‘art pour l’art, bei dem ein Künstler, durchaus in integrer Absicht, etwas schafft, was zwar seinen Gefühlen entspricht, ohne dass dies dem Publikum aber immer auch verständlich wird.
Das bedeutet, die Kommunikation zwischen Künstler und Publikum ist nicht gewährleistet, wodurch eine Kluft zwischen dem Komponisten und dem Publikum entsteht. Vom Künstler wird diese zum Teil bewusst in Kauf genommen wird, indem er sich mit Erfolge in der Nachwelt tröstet. Aber Insgeheim sehnt er sich danach, schon von seinen Zeitgenossen verstanden zu werden. Wagner machte dies zum Thema seiner Oper Die Meistersinger von Nürnberg: Er forderte vom Künstler, sich nicht nur seinen Künstlerkollegen, sondern auch dem Volk zu stellen.
Wagner und andere Komponisten jener Zeit waren zwar schon etwas abgehoben, aber die Sehnsucht, verstanden zu werden, war da. Sie wollten noch das Publikum bedienen. Der endgültige Bruch kam erst später, mit der Moderne.
Ihre Entscheidung, sich als „letzter lebender Barockkomponist Österreichs“ dem Zwang der Avantgarde zu entziehen, erfolgte zu einer Zeit, als das noch nicht als „postmodern“ etikettiert und damit akzeptiert wurde, sondern als es noch großen Muts bedarf, so einen Schritt zu setzen, der gegen den Mainstream der Avantgarde gerichtet war. Wie kam es dazu?
Ich habe bei Alfred Uhl Komposition studiert. Ein avantgardistischer Neutöner wäre ich sicher nicht geworden, weil ich mich eher zur gemäßigten Moderne eines Hindemith oder Orff hinzugezogen fühlte. Der Bruch hat mit meiner Tätigkeit als Organist im Stift Heiligenkreuz zu tun. Ich konnte in allen Stilen improvisieren, jedoch waren die Mönche glücklich, wenn sich meine Improvisationen im alten Stil bewegten. Schon als Kind konnte ich jede Art von Musik in mir hören. Ich war im Internat, in dem man früh zu Bett gehen musste. Als ich so dalag und nicht einschlafen konnte, drehte ich mir ein imaginäres Radio auf, mit dem ich alles Mögliche hören konnte, Jazz, Klassik oder Unterhaltungsmusik. Das war zwar schon meine eigene Musik, die ich da innerlich hörte, das wurde mir aber erst später bewusst. Als avantgardistischer Komponist hätte ich all diese Klänge durch einen Filter der Moderne laufen lassen müssen, denn ihr Gebot lautete: „So kann man heute doch nicht mehr schreiben!“ Während meines Studiums hatte ich dann ein einschneidendes Erlebnis: Für einen befreundeten Trompeter habe ich ein paar Stücke im barocken Stil komponiert, die so gut ankamen, dass mich die Leute fragten, wer denn der Komponist sei und wo man die Noten dazu kaufen könne. Das brachte mich in ziemliche Verlegenheit, denn mir wurde bewusst, dass ein toter Komponist allemal mehr wert ist, als ein lebender. Bei einem Bier kam diesem Trompeter schließlich die Idee, den Namen eines imaginären Barockkomponisten zu erfinden, und so wurde Franz Xaver Frenzel geboren. Wir haben ihn den Größten unter den Kleinmeistern des Barocks genannt, verschollen im Archiv von Heiligenkreuz, wo er einst gelebt hat, wie später auch ich. Mit Franz Xaver Frenzel habe ich einen Garten betreten, der mir als Komponist der Moderne verschlossen geblieben wäre.
Wer ist dieser Franz Xaver Frenzel für Sie, eine Kunstfigur oder etwas Anderes?
Darüber habe ich selbst sehr viel nachgedacht. Ist er wirklich eine Kunstfigur oder mein Alter ego, denn schließlich steckt viel von mir in ihm drin? Wollte ich mir mit ihm selbst etwas beweisen, oder meinem viel zu früh verstorbenen Vater, der auch Musiker war? In Wirklichkeit ist Franz Xaver Frenzel das, was in mir klingt, zugleich aber auch der Wunschtraum von einem goldenen Zeitalter für Komponisten. In meiner Fantasie lasse ich Musiker und Ensembles in verschiedenster Besetzung auftreten. Die spielen mir vor und ich suche aus. Das ist ein völlig anderer Vorgang, als am Klavier oder am Schreibtisch zu komponieren, wo ich mir etwas zusammensuche. Ich glaube, dass auch früher die klassischen Komponisten so verfahren sind. —Was Frenzel angeht, so sind all seine Werke in Wirklichkeit schon da. Ich muss sie nur noch niederschreiben, soweit ich halt komme. Das bedeutet aber auch, ich kann nicht experimentieren, es muss sofort passen und das ist wahrlich viel Knochenarbeit!
Was bei der Musik Frenzels stark auffällt ist die meisterhafte Beherrschung des Handwerks, die bei der Avantgarde nicht immer hoch im Kurs steht.
Das ist die zweite Ebene, die dazu kam, als ich mich auf Frenzel eingelassen habe. Da gab es eine Phase, in der ich auf ihn richtiggehend eifersüchtig war, weil viele Musiker von sich aus seine Werke gerne spielen, bei Kursen, im Unterricht oder einfach nur zum Zeitvertreib, also ohne, dass sie dafür engagiert und bezahlt werden. —- Da wurde mir klar, dass dies auch etwas mit dem Handwerk zu tun hat. Echtes Handwerk, das Gefühle auslöst, das eine Geschichte zum Tragen bringt, das zeichnet von je her die größten Meister aus. Natürlich besteht die große Versuchung, sofort den Sprung zum Genie zu machen. Aber das ist gefährlich. Thomas Mann hat das in seinem Roman Doktor Faustus beschrieben. Man muss erst einmal das Handwerk erlernen!
Franz Xaver Frenzel gilt als der „einzige lebende Barockkomponist Österreichs“. Wenn man sich seine Musik genau anhört, wird man neben barocken aber auch viele andere Stilelemente entdecken, die alle zur seiner einzigartigen, unverwechselbaren Sprache beitragen.
Sie haben völlig recht. Die Bezeichnung, „letzter lebender Barockkomponist“ stammt von Dr. Helmut Rießberger, dem früheren Leiter der Musikabteilung des ORF. Das blieb am Frenzel hängen, weil es sehr schlagkräftig ist. Allerdings hat der Begriff „Barock“ schon auch seine Berechtigung, wenn man ihn nämlich als Lebensgefühl versteht. In diesem Sinn bin ich ein „barocker“ Mensch. Der Frenzel hat einen irren Vorteil: Der weiß alles, was ich weiß. Und ich wiederum habe den Vorteil, dass ich über den Frenzel eingebildete Mäzene habe. Denen muss ich gefallen, so wie ein Haydn dem Fürsten Esterházy und seinem Publikum gefallen musste. Wenn Haydn für seinen Fürsten etwas komponierte, das dieser selbst aufführte, musste er ihm das Gefühl geben, ein großer Virtuose zu sein.
Bei Swiss Als Classic kommt Frenzels Concertino für Flöte, Piccolo und Orchester zu Aufführung, das 2001 uraufgeführt wurde. Was war der Anlass zur Entstehung dieses Werks?
Rafael Leone, damals Flötist bei den Wiener Symphonikern, kam auf mich zu und fragte mich, ob ich etwas für Piccolo und Flöte schreiben könne. Die Uraufführung fand im Wiener Konzerthaus statt. — Einmal erklang es in einem Konzert, in dem Mozarts Flötenkonzert ebenfalls auf dem Programm stand. Da bin ich vor Neid erblasst, weil er eine geniale Idee hatte: Mozart setzte zwei Hörner dazu, die für die beiden hohen Flöten ein Fundament schaffen, wie es die Streicher niemals bieten können. Daraufhin habe ich dieses Concertino sofort revidiert. In Andermatt wird zwar eines der beiden Hörner von einem Fagott imitiert, sonst aber erklingt genau die revidierte Fassung.
Im Prinzip folgt dieses Konzert der klassischen Form mit drei Sätzen. Ungewöhnlich aber ist, dass die Kadenz gleich am Beginn steht und nicht am Ende des ersten Satzes, wie sonst in einem klassischen Konzert üblich.
Ich habe es genau so in meinem Kopf gehört, mit diesem Anfang. Warum das so ist, kann ich nicht sagen. Der Anfang, den die Soloflöte spielt, ist eigentlich impressionistisch. Plötzlich aber wird es frühbarock, dann klassisch, stets aber mit modernen Einschüben. —
Im Grunde also eine avantgardistische Haltung.
Genau. Nur will die Avantgarde das Publikum provozieren, ich hingegen die Avantgarde!